Kannst du zuhören? Eine einfache Frage, die gar nicht so leicht zu beantworten ist. Ich gehe davon aus, dass du die Eingangsfrage allerdings ohne lang zu zögern mit „ja“ beantwortet hast. Und das wird vermutlich auch so stimmen, denn jeder Mensch, der Ohren und ein intaktes Hörorgan hat, kann zuhören: Worte des Gegenübers hören, aufnehmen und – im Idealfall – verarbeiten.

Wortloses Dasein - Die Kunst des Zuhörens
Das Alltags-Zuhören
Wie läuft das Zuhören jetzt also in einem Alltags-Gespräch ab? In der Regel so: Du führst ein Gespräch. Du hörst deinem Gegenüber zu und während du zuhörst überlegst du dir gleichzeitig bewusst oder unbewusst was du als nächstes sagen wirst. Sobald dein Gegenüber ausgeredet hat, sprichst du und formulierst deine Gedanken. Währenddessen hört dein Gegenüber zu und überlegt bewusst oder unbewusst zur gleichen Zeit was er als nächstes sagen wird. So geht das hin und her. Ein hübsches Ping Pong, bis alles gesagt wurde. Diese Art von Zuhören funktioniert gut bei Sach- oder Fachgesprächen oder bei belanglosem Small Talk.
Wenn dein Gegenüber aber gerade ein emotionales Wrack ist und du ihm in seiner Not irgendwie helfen oder beistehen möchtest, ist diese Art des Zuhörens in höchstem Maße unzureichend.
Emotionen im Spiel
Sind Emotionen im Spiel, ist dein Gegenüber traurig, wütend, verzweifelt, am Boden zerstört oder was auch immer, ist das Alltags-Zuhören einfach zu wenig. Da braucht es mehr. Mehr, im Sinne von Anteilnahme und Mitgefühl.
Oft läuft das ja so: Ein Freund erzählt dir von seinem Leid, das ihn wirklich beinahe überrollt. Und nachdem du ja sein/e Freund/in bist, möchtest du natürlich für ihn da sein und ihm helfen.
Er schüttet dir also sein Herz aus und das erste was du machst ist dein Alltags-Zuhören anzuknipsen und (*) zu überlegen was du tun kannst, um ihm zu helfen oder (*) zu überlegen was er tun kann, um sich zu helfen, oder (*) zu überlegen was ihr gemeinsam tun könnt, um ihm zu helfen und die Situation zu ändern. Diese Überlegungen sind äußerst nobel – und zu diesem Zeitpunkt äußerst unangebracht.
Die größte Not
In Zeiten der größten Not will man meist bewusst oder unbewusst nur eins: Nicht alleine sein – und in seinem Leid gehört, gesehen und wahrgenommen werden. Schüttet dir dein Freund dein Herz aus und du schaltest dein Alltags-Zuhören an, bist du ungefähr 5 Schritte weiter als er gerade ist – und somit auf einer völlig anderen Ebene unterwegs, die für deinen Freund zu diesem Zeitpunkt sowas von überhaupt gar nicht hilfreich ist.
Selbst das größte emotionale Chaos folgt nämlich einer bestimmten Ordnung von Phasen, die es zu durchlaufen gilt:
(1) den Schock verdauen, der mich in dieses Chaos manövriert hat,
(2) die Emotionen zulassen und ausleben, die in diesem emotionalen Chaos da sind,
(3) erkennen, dass ich gerade in einem emotionalen Chaos bin,
(4) annehmen, dass ich gerade in einem emotionalen Chaos bin,
(5) Lösungen finden, die mich wieder aus dem emotionalen Chaos bringen.
Schwarzes Loch und volle Kraft voraus
In unserem Beispiel strampelt dein Freund also noch in einem schwarzen Loch, mitten in Phase 1 wild herum und du machst auf „Volle Kraft voraus mit Phase 5! Wir schaffen das! Yeah!“.
Was dann passiert? Das klassische „Das Gegenteil von gut ist gut gemeint“. Dein Freund fühlt sich womöglich völlig unverstanden und nicht gesehen in seinem Leid. Obwohl du da bist, fühlt er sich in seinem Chaos allein gelassen. Was sogar dazu führen kann, dass er sich wieder verschließt und sich in sein Schneckenhaus zurückzieht. Und glaub mir, in einem Schneckenhaus, das bis zur Decke mit emotionalem Chaos angefüllt ist, ist es wirklich nicht lustig.
Echtes Zuhören
Was kannst du also tun?
Beam dich zu deinem Freund in Phase 1 rein. Hol ihn dort ab, wo er gerade ist. Lass all deine klugen Überlegungen und Ratschläge und Vorschläge und Tipps und Tricks und wasweißderkuckucknochalles weg. Verkneif dir deine „Ich hatte auch mal so eine Phase …“- und „Mir hat damals diesesundjenes geholfen“-Geschichten. Auch ein „Probier mal das, vielleicht tut dir das jetzt gut“ ist nicht angebracht. Und schon gar kein „Ich kenn da eine gute Adresse …“.
Hör, was dein Freund zu sagen hat. Sei da. Sei einfach da. Fühl dich in ihn rein. Fühl mit, was er gerade durchmacht. Vielleicht fehlen dir dann die Worte. Das macht nichts. Wortloses echtes Dasein kann unglaublich wohltuend und heilsam sein.
Vielleicht bist du dann auch überwältigt von dem Emotionschaos, in dem sich dein Freund grad befindet. Dann sag ihm genau das. Sag ihm, dass dir die Worte fehlen. Sag ihm, dass sich das wirklich anstrengend und wie eine Mega-Walze anfühlt, was er da grad durchmachen muss. Sag ihm, dass du siehst und spürst wie überfordert und traurig er gerade ist. Sag ihm, dass du gern für ihn da sein möchtest – aber nicht genau weißt was du tun sollst, um ihm zu helfen.
So kannst du ihn dort abholen, wo er gerade ist. Und so kannst du ihn behutsam durch die einzelnen Phasen begleiten, bis ihr dann in der „Volle Kraft voraus – Phase 5“ gelandet seid.
Wortloses Dasein
Wortloses Dasein für jemand anderen kann zu Beginn sehr ungewohnt sein, weil wir ja darauf trainiert sind immer etwas tun oder sagen zu müssen. Es gibt aber Situationen, in denen es nichts zu tun oder zu sagen gibt. Situationen, die fast unerträglich sind. Situationen, in denen es einfach ums Dasein und ums Den-Anderen-nicht-alleine-lassen geht.
Und auch, wenn das wortlose Dasein oft das Heilsamste ist, was du in einer solchen Situation tun kannst, so gibt es immer auch noch eine ganz einfache Frage, mit der du selbst in Phase 1 eine gute Unterstützung für deinen Freund sein kannst: „Was brauchst du jetzt?“.

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